Nadine Drexler

Apr. 24

Zwischen People Pleasing und Grenzen setzen

... warum es so schwer fällt, gesunde Grenzen zu setzen und wie es dir endlich gelingt

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Viele Frauen schwanken hin und her zwischen "Drama schieben" und "sich unterwürfig verhalten" - und blockieren damit die gemeinsame Verbindung. Gesundes Grenzensetzen kann eine echte Herausforderung sein, zählt jedoch aus meiner Sicht zu einer der WICHTIGSTEN Fähigkeiten, die sich ein erwachsener Mensch aneignen MUSS, wenn er eine gesunde Verbindung auf Augenhöhe erschaffen und auch pflegen möchte. Da du auf meinen Blog gefunden hast, gehe ich davon aus, dass du genau das möchtest: eine gesunde Partnerschaft auf Augenhöhe, die langfristig bereichernd ist. Langfristige Harmonie entsteht aber nur, wenn auch Platz für Phasen der Disharmonie ist, denn sonst ist das Ganze ein klares Zeichen dafür, dass eigenen Wünschen und Werten ständig nur ausgewichen wird, um den Konflikt zu meiden und die vermeintliche Harmonie zu wahren (die in Wahrheit keine ist). Zu einer gesunden Bindung gehört nunmal auch das Grenzen-Setzen, denn kein Mensch der Welt kann immer alles richtig machen. Wir machen Fehler und ja, wir verletzen uns - ob wir wollen oder nicht. Umso wichtiger ist es, die eigenen Grenzen und Werte ganz genau zu definieren, das eigene Handeln danach auszurichten und die Souveränität und das Selbstbewusstsein aufzubringen, sich abzugrenzen, wenn es notwendig ist. Und mit dem Abgrenzen nicht solange zu warten, bis du (innerlich wie äußerlich) explodierst. Dir muss dabei bewusst sein: Du kannst keine gesunden Grenzen setzen, ohne dabei das Risiko einzugehen, den anderen damit zu verletzen oder zu kränken. Grenzt du dich ab, hat das natürlich auch Auswirkung auf dein Gegenüber.

Menschen, die zu People Pleasing neigen (und auch solche, die einfach sehr empathisch und fürsorglich sind), haben besondere Schwierigkeiten dabei, gesunde Grenzen zu setzen, denn sie sind mit ihren Gedanken und Gefühlen immer mehr bei der anderen Person statt bei sich selbst: Aber ich will nicht, dass die andere Person sich schlecht fühlt! Ich will nicht, dass er / sie negative Gefühle erleben muss! oder Ich will nicht, dass die andere Person deswegen sauer auf mich ist und sich abwendet! Das ist zwar alles erstmal nett gemeint, andere Menschen nicht verletzen zu wollen, doch es gibt einen großen Unterschied, jemandem mut- und böswillig zu schaden, um einen eigenen Vorteil daraus zu haben oder für sich selbst einzustehen und damit jemand anderen möglicherweise zu enttäuschen. Denn mit Enttäuschung kann immer ein Gefühl von Kränkung, Ohnmacht, Trauer usw. einhergehen, doch all diese Gefühle, die sich der anderen Person offenbaren, sind nunmal die Verantwortung der anderen Person, auch wenn deine Grenze der Auslöser dafür war. Auch, wenn der aktuell zu beobachtende Trend in eine andere Richtung geht, ist es unabdingbar, deine Verantwortlichkeiten bei dir zu lassen und die der anderen Person bei ihr. Was ich damit genau meine, schauen wir uns heute ganz genau an.

People Pleasing

Lass uns zu allererst einmal klären, was People Pleasing denn eigentlich ist. In Kurzform beschreibt dieser Begriff das Folgende:

Eine Person, die stets bemüht ist, anderen zu gefallen. Im Fokus steht das Wahren von Harmonie und das Vermeiden von Konflikt. Sie ist darauf bedacht, die Erwartungen anderer zu erfüllen und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche hintenan zu stellen.

... um am Ende von der anderen Person gemocht zu werden.

Emotionale Bindung und Grenzen setzen

In romantischen Verbindungen ist die Chance besonders groß, dass es zu Konflikten und Dramen kommt, da hier das emotionale Explosionspotenzial besonders hoch ist. Will nun eine Person in dem gemeinsamen Konstrukt es der anderen Person stets rechtmachen (People Pleasing), kann sie damit keine gesunden Grenzen setzen und für die eigenen Bedürfnisse einstehen. Kann sich die andere Person hingegen sehr gut abgrenzen, dann wird es in einer solchen Verbindung, in der einer gut im Abgrenzen und einer weniger gut im Abgrenzen ist, früher oder später zu einem großen Knall kommen MÜSSEN. Die Person, die sich weniger gut abgrenzen kann, verhält und fühlt sich wie eine tickende Zeitbombe - und wenn diese Bombe platzt, können damit extreme Emotionen explosionsartig zum Vorschein kommen: Wut, Aggression, tiefe Trauer, Schmerz gepaart mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen. Zurück bleibt dabei ein Scherbenhaufen, Verurteilung, (weitere) unbearbeitete negative Gefühle und ein riesen Drama. Ob das hätte sein müssen? Auf keinen Fall! Ob man daraus was lernen kann? Aber ganz sicher!

Es ist so: Setzt eine Person eine Grenze, dann wird damit in diesem Moment auch immer die Bindung zum anderen gekappt - und ja, das kann unheimlich schmerzlich sein und mit Verlustängsten einhergehen. Doch diese Fähigkeit des Grenzen-Setzens ist unabdingbar, um eine gesunde, reife Verbindung auf Augenhöhe zu erschaffen.

Gesunde Grenzen kannst du nur setzen, wenn du bereit bist, den anderen zu verletzen.

Leider wird der Akt des gesunden Abgrenzens oft fälschlicherweise als "Narzissmus" oder "Bindungsunfähigkeit" betitelt, besonders fatal, wenn hier und da mal eben mit psychologischen Begrifflichkeiten hantiert und damit diese "unfaire Situation" und die damit einhergehenden so schmerzlichen Gefühle irgendwie erklären werden wollen. Kann man dem anderen die Schuld für alles in die Schuhe schieben und ihm auch zeitgleich noch einen "professionellen Begriff" für sein fieses Verhalten aufdrücken, scheint man selbst gut aus der Sache rauszukommen. Halte ich jedoch für weniger sinnvoll. Bereichernder ist doch, mal genauer hinzuschauen, um SELBST daran wachsen zu können. Ja, eine Grenze vor den Latz geknallt zu bekommen, ist selten schön, und dennoch sind die negativen Gefühle, die damit einhergehen, kein Freifahrtschein, um anderen einen Narzissmus- oder Bindungsunfähigkeitsstempel zu verpassen, sondern vielmehr eine gute Möglichkeit, um dem anderen und seinen Bedürfnissen mit Respekt zu begegnen, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und auch selbst zu lernen, Grenzen zu setzen. Denn wirklich triggern und völlig aus der Bahn werfen kann eine Grenzsetzung einer anderen Person nur jemanden, der selbst keine Grenzen setzen und nicht für sich selbst einstehen kann.

Gesundes Grenzensetzen

Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten wir uns erst einmal genauer anschauen, wie ein gesundes Grenzensetzen (direkt und indirekt) denn eigentlich aussehen kann. Und zwar so:

Direktes Abgrenzen

"Es war wirklich sehr turbulent die letzte Zeit bei uns, das ist mir echt etwas zu viel - ich brauche jetzt mal Zeit für mich."

"Am Wochenende brauche ich etwas Zeit für mich."

"Das muss ich erstmal sacken lassen, dafür brauche ich etwas Zeit."

"Am Donnerstag Abend möchte ich gerne mit meinen Freunden / Freundinnen etwas unternehmen und habe leider keine Zeit."

"Ich möchte gerade nicht telefonieren."

"Das ist mir gerade zu viel."

"Ich habe gerade viel um die Ohren, ich melde mich, wenn mein Kopf wieder freier ist! Danke für dein Verständnis!"

Respektiert die andere Person diese Abgrenzung nicht und sucht immer und immer wieder den Kontakt oder macht sogar Vorwürfe, ist es grundlegend wichtig, trotzdem bei seiner eigenen Abgrenzung zu bleiben und für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Viele neigen dazu, die eigene Grenze zu verschieben (und die eigenen Bedürfnisse damit zu übergehen!), damit die andere Person eben nicht durch mögliche negative Gefühle, Enttäuschung oder gar durch's "Einsamsein" hindurch gehen muss. Zusätzlich besteht oft die Angst, dass sich die andere Person dann aufgrund dieser negativen Gefühle langfristig abwenden könnte und die Verbindung damit dem Risiko einer Trennung ausgesetzt ist. Das schürt natürlich die eigene Verlustangst - und um diese Angst zu stillen, wird die Grenze dann gerne rückwirkend versetzt oder zurückgenommen, obwohl man eigentlich tief in sich spürt, dass sie richtig war. Oft geht auch die Angst damit einher, dass die andere Person glauben könnte, man lehne sie ab oder man möge sie nicht mehr, wenn man nicht allzeit bereitstehe - und dass sie deswegen geht und nicht mehr "zurückliebt". Grenzensetzen hat jedoch REIN GAR NICHTS damit zu tun, dass man die andere Person nicht mag oder dass man etwa bindungsunfähig ist (weil man ja in dem Moment die Verbindung spürbar kappt).

Jemanden zu mögen heißt nicht, dass man aufhört, sich selbst zu mögen und für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen.

Das Wichtigste hierbei ist:

Grenzen setzen = Kappen der gemeinsamen Verbindung = Aufkommen von negativen Gefühlen und Verlustangst (ggf. auf beiden Seiten)

Um die Fähigkeit des gesunden Abgrenzens zu entwickeln, braucht man also im ersten Schritt die Fähigkeit, sich eigenverantwortlich den eigenen (negativen) Gefühlen und Bedürfnissen zu widmen. Gesunde Grenzen kannst du also nur dann setzen, wenn du bereit bist, das Risiko in Kauf zu nehmen, den anderen zu verletzen. Und wenn du zusätzlich verstehst, dass du nicht für diese negativen Gefühle des anderen verantwortlich bist.

Gesundes Grenzensetzen braucht also als Grundlage diese drei Komponenten:

  1. Bereitschaft, das Risiko einzugehen, den anderen zu verletzen

  2. Fähigkeit, mit eigenen negativen Gefühlen und Ängsten umgehen zu können

  3. Fähigkeit, bei sich zu bleiben und das Wissen, dass man nicht für die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person verantwortlich ist, sondern nur für die eigenen

Ja, in einer gesunden zwischenmenschlichen Verbindung muss man auch kompromissbereit sein - jedoch niemals zu Lasten der eigenen Grundbedürfnisse, der eigenen Autonomie oder der eigenen Werte. Als reifer, selbstbewusster Mensch weiß man das und sucht sich ebenbürtige Menschen, die sich ebenfalls gut abgrenzen können. Eine Person, die diese Abgrenzung nicht respektiert und glaubt, die andere Person sei eben DOCH dazu verpflichtet, für die eigene Bedürfnisbefriedigung parat zu stehen und/oder sich gefälligst um die negativen Gefühle zu kümmern, die sich aufgrund der Abgrenzung zeigen, weist damit schlichtweg unreifes Verhalten auf. Eine sich gesund abgrenzen könnende Person wird sich auf dieses bedürftige Verhalten NICHT einlassen. Und genau das wird von der bedürftigen Person wiederum oft als narzisstisches, toxisches oder bindungsunfähiges Verhalten deklariert, obwohl es in Wahrheit ein gesundes Verhalten ist. Bitter, oder? (fühlst du dich ertappt, mache dir keine Vorwürfe, es reicht, wenn du neugierig bleibst, wie du dein Verhalten auf eine reife und gesunde Ebene heben kannst. Ist doch gut, dass du diese Zeile gerade liest und dich weiterentwickeln willst!)

Indirektes Abgrenzen

Gesundes Abgrenzen kann auch indirekt geschehen. Leider wird dessen Wert häufig unterschätzt, völlig übersehen oder als "ungesund" beschimpft. Indirektes gesundes Grenzensetzen kann z.B. durch wortloses Verlassen einer Situation vollzogen werden. Beispiel: Person (A) entzieht sich und ihre Energie würdevoll, ruhig und wortlos aus einer Situation, da Person (B) mit ihrem Verhalten die Würde von Person (A) angreift. Person (A) handelt damit aus Selbstrespekt - und das ist gut und gesund. Leider wird ein solches (wortloses) Handeln nach aktuellem Trend leider oft negativ bewertet - jeden Schritt soll man stattdessen kommunizieren, um damit vermeintliche Reife zu beweisen, und dabei stets auf die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person achten (bis hin zur Selbstaufgabe). Dass das jedoch völlig ungesund und People Pleasing ist, sagt dabei niemand.

Direkte Kommunikation ist nicht für alles das Allheilmittel!

Natürlich sollte man seine Bedürfnisse und Wünsche kommunizieren können, darüberhinaus sollte man als erwachsene Person auch die Kommunikationskompetenz besitzen, um Konflikte ansprechen und lösen zu können. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass direkte Kommunikation und "Miteinander Sprechen" stets das Allheilmittel für jeden Konflikt oder jede Meinungsverschiedenheit ist. Man sollte sich immer fragen und frei entscheiden dürfen, ob man seine wertvolle Energie in eine bestimmte Situation stecken möchte oder nicht. Ob es wirklich sinnvoll und zielführend ist sowie einen positiven Mehrwert mitbringt. In einer Situation, in der von einer Person z.B. keinerlei Respekt entgegenbracht wird, noch mehr zu kommunizieren, nur um gesellschaftlich betrachtet "höflich zu bleiben und reif zu handeln", halte ich für schwierig. Aus meiner Sicht ist das Entfernen aus einer solchen Situation das Würde- und Respektvollste (sich selbst gegenüber!), was man tun kann. Und zu wissen, dass ein ruhiges Verlassen einer Situation (und damit eine gesunde Abgrenzung) in vielen Fällen der tatsächlich reife Akt ist. Deine Würde sollte dir immer das Heiligste sein (nicht zu verwechseln mit deinem Ego).

Abgrenzung, negative Gefühle und Eigenverantwortung

Sich "respektlos behandelt fühlen" und tatsächlich "respektlos behandelt werden" sind jedoch zwei verschiedene Paar Schuhe, die viele verwechseln. Viele Frauen fühlen sich maßlos ungerecht und respektlos behandelt, wenn ein Mann mal keine Zeit hat, sich weniger meldet oder den Fokus auf seine eigenen Dinge richtet statt sich um sie zu kümmern. Sie übersehen dabei jedoch, dass der Mann - egal ob in der Kennenlernphase oder in einer Partnerschaft - nicht der Papa, sondern der Partner auf Augenhöhe ist. In so einem Fall zickig und vorwurfsvoll zu reagieren wäre hier dann der eigentlich unreife und ungesunde Akt, obwohl oft dem Mann ein "gemeines und respektloses" Verhalten untergejubelt wird. Und davon gibt es noch einige weitere mögliche Szenarien, die ich häufig von Frauen höre (natürlich gibt's das auch andersherum! Wenn dem bei dir so ist, nimm deine Beine in die Hand).

Lass uns diese Thematik mal genauer betrachten und ein greifbares Beispiel nehmen:

Alfons sagt Marie, dass er am Samstag leider keine Zeit hat, weil er mit den Jungs zum Fußball gehen will. Marie hätte ihn jedoch super gerne gesehen und hat sich das Wochenende schon mit Picknick am See ausgemalt. Doppelt groß ist die Enttäuschung, dass ihre Träume vom gemeinsamen Ausflug zerplatzen. Je mehr Marie darüber nachdenkt, warum Alfons das Fußballspiel mit den Jungs bevorzugt und lieber dorthin will als etwas mit ihr zu unternehmen, desto mehr schürt sie damit ihre Verlustangst: Was, wenn Alfons auf einmal das Interesse an ihr verloren hat? Ist er wirklich mit den Jungs unterwegs oder trifft er sogar eine andere? Marie interpretiert sein Verhalten und wertet den Akt als ungerecht und respektlos, da er schließlich sowieso die letzte Zeit schon weniger auf ihre Nachrichten reagiert hat und sie ihm ständig hinterhertextet. Ihre negativen Gefühle verbindet sie mit ihm und fühlt sich immer schlechter, je mehr sie sich dort hineinstrudelt. Anstatt aus ihrem Gedankenkarussell auszusteigen, schiebt sie ihm die Schuld zu: Wäre er ein guter Mann, wäre sie seine oberste Priorität - und zwar zu jeder Zeit! Er spielt wohl nur mit ihr und hat nicht den Mumm, es ihr zu sagen. Marie übersieht dabei jedoch leider die große Eigenverantwortung, sich ihren eigenen negativen Gefühlen zu widmen, sich aus der Grübel-Spirale zu befreien, zu lernen, sich selbst gesund abzugrenzen und dem anderen seinen freien Willen und seinen Freiraum zuzusprechen. Außerdem läuft sie ihm immer mehr hinterher und verlässt damit ihren weiblichen, würdevollen Standpunkt. Anstatt Eigenverantwortung für all das zu übernehmen, gibt sie ihm die Schuld. Wahrscheinlich kannst du dir denken, wie diese Geschichte ausgeht...

Als kleine Erinnerung:
 
Der andere ist nicht dazu da, non-stop deine Bedürfnisse zu stillen oder gar deine negativen Gefühle zu kompensieren, damit du happy bist! Es ist auch nicht seine Aufgabe, seine eigenen Bedürfnisse hintenan zu stellen, um dich zufriedenzustellen (Thema: People Pleasing). Genauso wie es anderherum auch nicht deine Aufgabe ist, für seine Bedürfnisse und negativen Gefühle parat zu stehen.

Niemand kann und niemand darf dich vor deinen eigenen Gefühlen retten - denen musst du dich schon selbst zuwenden.

In einer gesunden Bindung übernehmen beide Parteien Eigenverantwortung für ihre Bedürfnisse und Gefühle und können sich aus eigenem Antrieb heraus die Fähigkeiten aneignen, die es braucht, um sich selbst zu regulieren und für sich selbst da zu sein.

Um das Ganze abzuschließen, was würde ich Marie raten? Richtig, sich ein schönes Wochenende zu gestalten, vielleicht mal wieder bei Nora anzurufen und sie zu fragen, ob sie nicht Lust auf ein Picknick am See hat. Sich zusätzlich noch ein paar extra schöne Dinge zu überlegen, die sie machen kann und wobei sie immer richtig viel Spaß hat. Es sich so richtig gutgehen zu lassen. Ich würde ihr raten, auch die darauffolgenden Tage schon etwas Schönes zu planen, worauf sie sich freuen kann - und wenn es "nur" ein Serienabend oder nach der Arbeit eine heiße Wanne bei entspannter Musik und einem guten Buch ist. Sie muss nun besonders achtsam sein, weder in den Angriffsmodus ("Du musst für mich zur Verfügung stehen!") noch in den Unterlegenheitsmodus ("Wenn wir uns am Wochenende schon nicht gesehen haben, muss ich mir meine darauffolgenden Tage freihalten und unbedingt fragen, wann es denn dann bei ihm klappt, weil ich ihn unbedingt wiedersehen will!") zu rutschen. Es gibt eine goldene (gesunde!) Mitte, in die sich Marie eigenverantwortlich einfinden muss, wenn sie eine gesunde Verbindung zu Alfons (und sich selbst!) aufrechterhalten möchte.

Bedürfnisse haben ≠ Bedürftigkeit

Lass uns an dieser Stelle mal das oft missverstandene Thema "Bedürfnisse" und "Bedürftigkeit" beleuchten. Natürlich haben wir Menschen Bedürfnisse und da wir soziale Wesen sind, hängen viele unserer Bedürfnisse mit anderen Menschen zusammen. Gerade in romantischen Beziehungen, die uns tiefer berühren können als andere zwischenmenschliche Verbindungen, verschwimmen diese zwei Begriffe jedoch fatalerweise häufig. Bedürfnisse sind jedoch nicht mit Bedürftigkeit gleichzusetzen!

Ein Bedürfnis, das übersehen, ignoriert oder unterdrückt und damit nicht gestillt wird, kann zu Bedürftigkeit werden, wenn wir glauben, dass wir von einer anderen Person abhängig sind, die allein unser Bedürfnis stillen kann. Tut sie dies nicht, dann werden wir immer bedürftiger, da sich unser Glaube festigt, ohne diese Person unser Bedürfnis nicht stillen zu können. Hinter Bedürftigkeit steckt also immer ein unerfülltes Bedürfnis. Im Fall von Marie ist es zum Beispiel die Zweisamkeit mit Alfons und sich von ihm gesehen und geliebt fühlen. Wenn Marie nicht aufpasst, kann sie in eine ganz ungesunde und für sie schmerzliche Abhängigkeitsspirale der Bedürftigkeit geraten, wenn sie im entscheidenden Moment ihr Bedürfnis nicht selbst stillt, sprich sich sich selbst zuwendet, sich mit anderen Menschen, die sie mag, verbindet und ggf. verabredet, sich Gutes tut, für sich da ist, ihren Freuden folgt und für ihr Wohlbefinden sorgt. Wenn sie diesen Ausgleich nicht schafft und in die Eigenverantwortung geht, wird sie immer mehr glauben, dass ihr "gutes Gefühl" von Alfons abhängig sei - und das kann nur in die Hose gehen. Das ist weder für sie selbst noch für Alfons gesund - denn diese Verantwortung für Maries Wohlbefinden aufgezwängt zu bekommen, kann ihn nur in die Selbstaufgabe stürzen, wenn er diese Verantwortung annehmen würde. Ein selbstbewusster, emotional stabiler und unabhängiger Mann wird dazu jedoch niemals Ja sagen und stattdessen gehen. Gut so.

Heutzutage wird fälschlicherweise suggeriert, dass man nur lernen müsse, seine Bedürfnisse richtig zu äußern und die andere Person sei dann für die Erfüllung dieser zuständig (sonst sei es einfach nicht die richtige Person). Das ist jedoch ein fataler Irrglaube und aus meiner Sicht sehr ungesund. Diese Rechnung wird nur aufgehen können, wenn einer von beiden ein People Pleaser ist und sich für andere aufopfert - und viele Menschen lassen sich tatsächlich auf genau so eine Verbindung ein, die jedoch überhaupt nicht auf Augenhöhe ist. Einer unterwirft sich dabei, um vermeintlich Anerkennung und Liebe zu bekommen - das ist weder fair noch echt, sondern einfach nur ein fieses Tauschgeschäft. So eine Verbindung kann so weder in die Tiefe wachsen noch tief erfüllen, sie kann lediglich Bedürfnisse befriedigen und die Angst vorm Einsamsein stillen. Anstatt sich also weiterzuentwickeln, um eine reife Persönlichkeit mit gesunden Beziehungskompetenzen zu werden und eine ebenbürtige Person zu finden, mit der man eine gesunde Bindung eingehen kann, wählen viele den (oberflächlich betrachtet) bequemeren Weg, der jedoch langfristig nicht zu echter Erfüllung führen kann. Der Preis, den die beteiligten Personen dabei zahlen, ist immens hoch. Und ich bin mir sicher, tief in sich drin spüren sie das auch.

Eine gesunde Verbindung auf Augenhöhe kann niemals aus zwei Menschen bestehen, die ständig nur darauf bedacht sind, die Bedürfniss der anderen Person zu stillen. Das eine schließt das andere aus. Denn eine Sache übersehen viele leider:

Eine gesunde Bindung zwischen zwei Erwachsenen hat auch immer Phasen des Nicht-Verbunden-Seins - und beide Parteien müssen damit umgehen können, damit diese Verbindung langfristig von Bestand sein kann.

Natürlich sollte dein Partner auch für dich da sein, wenn es dir mal schlecht geht - das ist ja keine Frage. Genauso bist du ja auch für ihn da (bitte bedenke, dass in einer Kennenlernphase nicht die gleichen Dynamiken herrschen wie in einer tief gewachsenen Partnerschaft). Du wirst dich hoffentlich für diesen Menschen aus einem guten Grund entschieden haben (und das ist hoffentlich nicht nur sein gutes Aussehen oder sein Geld). DAS IST DIE GRUNDLAGE. Das heißt aber NICHT, dass man allzeit bereitstehen muss, weil die andere Person sich ständig in die Opferrolle begibt und gerettet werden möchte. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, die oft als ein und dasselbe betrachtet werden. Das eine impliziert eigenverantwortliches Handeln und das andere hingegen die selbstgewählte Ohnmacht (und Machtübertragung auf den anderen: "Du musst dich jetzt um mich kümmern, sonst..."). Das sollte von keiner Seite geschehen - weder von der männlichen noch von der weiblichen Seite.

Der größte Konflikt beim Grenzensetzen

Für die meisten Frauen ist der größte Konflikt beim Grenzensetzen die damit einhergehende Angst, den anderen vor den Kopf zu stoßen, ihn zu verletzen oder zu kränken und deswegen einen möglichen Verlust (eine Trennung / ein Abwenden der Person) auszulösen. Viele setzen also deswegen keine Grenzen, weil ihre Verlustangst zu groß ist. Und dahinter steht immer die Angst, mit den möglicherweise einhergehenden Konsequenzen (negativen Gefühlen) nicht umgehen zu können. Das wiederum sorgt dafür, dass eine gesetzte Grenze entweder zurückgenommen oder zu Gunsten der anderen Person wieder verschoben wird, um eine mögliche Trennung unter allen Umständen zu vermeiden.

Was passiert hierbei jedoch?

Versetzt du deine Grenze, um es der anderen Person rechtzumachen, dann bist du dabei mehr bei der anderen Person als bei dir selbst - und das ist nunmal People Pleasing. Du willst es ihr recht machen und stellst damit deine eigenen Bedürfnisse (die du mit deiner Abgrenzung schützen wolltest) hintenan, weil es dir wichtiger ist, nicht verlassen zu werden, als standhaft hinter deinen eigenen Grenzen zu stehen. Das ist eine Strategie zur Vermeidung von Verlust - doch diese Rechnung geht langfristig nicht auf, wenn du eine gesunde, ehrliche Bindung entstehen lassen möchtest. Eine gesunde Verbindung bedeutet nämlich auch immer die gesunde Unabhängigkeit zu wahren. Die Bindung um jeden Preis aufrechtzuerhalten, komme was da wolle, geht langfristig immer auf deine eigenen Kosten. Und die Verantwortung dafür trägst immer du und nicht die andere Person.

Der große Unterschied zwischen People Pleasing, Empathie und Fürsorge

Die Begriffe People Pleasing, Empathie und Fürsorge werden oft verwechselt, beschreiben jedoch NICHT ein und dasselbe, denn People Pleasing resultiert aus einem inneren Mangel und ist (oft versteckt) eine sehr selbstsüchtige Handlung. Auf den ersten Blick sehen People Pleaser wie freundliche, fürsorgliche und empathische Menschen ohne eigennützlichen Hintergedanken aus, doch die Realität ist eine andere:

People Pleasing = ich tue es, um Liebe zu bekommen

Reine, gütige Freundlichkeit = ich tue es aus Liebe

Ich finde, in diesen zwei kurzen Sätzen wird der große Unterschied mehr als deutlich. People Pleasing resultiert aus dem inneren Liebes-Mangel heraus und hat als Antrieb immer:

Ich will mich bestmöglich verhalten, damit der andere mich gut und sympathisch findet. Ich tue dies oder jenes, damit der andere auf keinen Fall verärgert ist, sondern mich mag und ich (früher oder später) Liebe von ihm erhalte.

Ein empathischer und fürsorglicher Akt hingegen geschieht aus Liebe, ohne etwas als "Gegenleistung" dafür im Blick zu haben:

Ich gebe dir dies, damit es dir gut geht bzw. du dich wohlfühlst. Damit du dein eigenes Strahlen (er)leben kannst und weißt, wie besonders du bist.

Du kannst also sehr wohl ein empathischer, mitfühlender und fürsorglicher Mensch sein und trotzdem Grenzen setzen. Bist du jedoch ein People Pleaser, sieht das schon wieder anders aus. Denn eine Grenze zu setzen bedeutet ja, die Verbindung zum anderen in dem Moment zu kappen und das Risiko einzugehen, nicht gemocht zu werden - was widerum nicht zum Leitmotiv eines People Pleasers passt - nämlich um jeden Preis geliebt werden zu wollen. Du musst dir also im ersten Schritt all dem bewusst sein, um erst deine ungesunden Verhaltensmuster auflösen und anschließend für dich einstehen zu können.

Du musst emotional unabhängig sein, um mit dem anderen wirklich verbunden sein zu können.

Nur, wenn du die Liebe des anderen nicht BRAUCHST, sondern genießt, kann daraus eine gesunde Verbindung auf Augenhöhe entstehen und auch langfristig von Bestand sein. Nur, wenn deine Absichten wirklich rein sind, ist auch eure Verbindung rein und ehrlich.

Aus einer ungesunden Saat kann niemals ein gesunder Baum entstehen.

Am Ende wirst du erkennen, dass du die einzige Person bist, von der du wirklich abhängig bist - von deinen Entscheidungen, deiner Zugewandtheit, deiner Freundschaft, deiner Wertschätzung, deiner Liebe. Alles andere findet und fügt sich schon, wenn du erkennst, wie wichtig du für dich selbst bist. Dann brauchst du keine Angst mehr haben, jemand anderen zu verlieren - und kannst erkennen, wann es an der Zeit ist, dich gesund abzugrenzen, um dich selbst nicht zu verlieren. Du kannst alles in dieser Welt verlieren und dein Leben wieder neu aufbauen, wenn du sicherstellst, dass du dich selbst nicht verlierst.

Fazit

Lass uns den Inhalt des heutigen Textes nochmal zusammenfassen: Setzt eine Person eine Grenze, dann kappt diese Person in dem Moment auch immer die Bindung zum anderen - und ja, das kann unheimlich schmerzen und mit Verlustängsten einhergehen. Es ist menschlich, dabei negative Gefühle und auch Verlustängste zu verspüren. DAS DARFST DU ALSO AKZEPTIEREN und annehmen. Es geht nur darum, zu erkennen, dass du mit all den negativen Gefühlen und Ängsten eigenständig SELBST umgehen kannst (Negative Gefühle zulassen und verarbeiten), du brauchst den anderen dafür nicht! Du bist nicht abhängig von der anderen Person, damit dich diese von deinen negativen Gefühlen befreit - das kannst du selbst. Negative Gefühle sind Teil unseres Lebens und erst wenn du nicht mehr auf Krampf versuchst, diese zu vermeiden und die Angst davor verlierst, mit ihnen nicht umgehen zu können, kannst du auch wirklich lieben und Liebe empfangen. Eine romantische Verbindung zwischen zwei selbstbewussten, reifen Individuen kann niemals ohne gesundes Grenzensetzen Bestand haben, da jeder selbst für seine Bedürfnisse und Werte eigenverantwortlich einstehen muss.

Du solltest immer mehr Angst haben, dich selbst zu verlieren, als irgendjemand anderes.

Mit diesem Schlusssatz beende ich diesen heutigen Text und hoffe, dass er dir ein wichtiges Puzzleteil in deinem Weiterentwicklungsprozess sein kann.

Deine psychologische Beraterin

Nadine Drexler


Beratung in Mann-Frau-Beziehungen:

Nadine Drexler

Bildungswissenschaftlerin

& Psychologische Beraterin

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